Datability und die CeBIT 2014

Das Leitthema der diesjährigen CeBIT war Datability. Das englische Kunstwort Datability ist eine Zusammenfügung der Begriffe Data und responsibility (Verantwortung) bzw. sustainability (Nachhaltigkeit). Ich fragte einige Personen vor der CeBIT nach ihrer Auffassung und Meinung zu Datability.

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Journalist und Blogger Richard Gutjahr besuchtet dieses Jahr nicht die CeBIT, da er die zeitgleich stattfindende SXSW – die South by Southwest in Austin, Texas (hier sein Bericht) – besuchte. Er meint:

Der Begriff Datability bedeutet für mich nicht zuletzt auch credibility – Glaubwürdigkeit. Ob Apple, Google, Facebook oder Microsoft, die großen Tech-Unternehmen haben durch eine nicht enden wollende Serie an Skandalen massiv an Glaubwürdigkeit verloren. Intransparenz bei der Erhebung und Weiterverarbeitung von Nutzerdaten, aber auch die Kollaboration mit den Geheimdiensten, haben dem Ansehen der Branche insgesamt schweren Schaden zugefügt. Datability steht für mich daher für das wachsende Bewusstsein dafür, dass Daten keine Ware sind wie jede andere, sondern dass mit ihnen auch Verantwortung erwächst, der sich viele Unternehmen offenbar noch nicht bewusst (genug) sind.

Thomas Pfeiffer, Sprecher des Landesarbeitskreises Medien- und Netzpolitik der bayrischen Grünen – er bloggt unter thomas-pfeiffer.de – schreibt:

Big Data ist wie eine Schachtel Pralinen: man weiß nie, was man bekommt. Der eine bekommt eine neue Krebstherapie, weil Big Data die Medizintechnik revolutioniert. Der andere keinen Handyvertrag mehr, weil kinderlose Männer mittleren Alters, die in Berlin als Webdesigner arbeiten, nicht kreditwürdig sind.

Big Data stößt an seine Grenzen, wenn Zusammenhänge gesehen werden, wo es keine kausalen (!) Zusammenhänge gibt: Störche bringen keine Babys, aber dennoch korreliert die Geburtenrate mit der Anzahl der Storchenpaare in einer Region! Das hat wenig mit den Vögeln zu tun aber viel mit der Struktur einer Region: Auf dem Land ist die Geburtenrate höher als in der Stadt und Störche sind eben keine Stadtmenschen.
Solche Scheinkorrelationen werden mit Big Data stark zunehmen und die Plausibilitätsprüfungen darauf werden immer schwerer zu durchschauen sein.
Aus den Zahlenkolonnen der Big Data Datenberge »schürfen« Firmen zuerst Informationen, Wissenschaftlerinnen schaffen in einem zweiten Schritt daraus Wissen und Wissen ist Macht. Aber Macht kann missbraucht werden. Vor diesem Missbrauch habe ich Angst und den müssen wir bekämpfen.
Um es mit Kant zu sagen: Der Mensch ist immer Zweck an sich, und niemals nur Mittel, um eine Statistik zu erfüllen.
Mathias Huber, Redaktionsleiter Linux-Magazin Online, versteht den Begriff folgendermaßen:

Ich halte es für einen ziemlich gewagten Neologismus, den die Messe erst mit Inhalt füllen muss. Das ist aber gleichzeitig die Chance zur
Gestaltung, die in so einer Neuschöpfung steckt. Ich verstehe den zweiten Wortbestandteil eher als „ability“, also wäre Datability die Fähigkeit, mit Daten allerhand zu machen. Dazu muss man erst einmal die technischen Voraussetzungen und das Können schaffen, zum anderen folgt daraus Verantwortung: Darf man alles tun, nur weil man es kann?

Thorsten Ising – Projektleiter und Social Media Marketing Manager bei code-x GmbH und Vorsitzender des Vereins Social Media OWL e.V. – vertritt diese Meinung:

Datability sehe ich als absolut wichtiges Thema. Die Nutzung von gesammelten Daten ist nicht mehr wegzudenken und die Sammlung von interessanten Daten wird sich weiter intensivieren. Gleichzeitig muss gewährleistet werden können, dass jeder einen Zugang zu diesen riesigen Datenmengen besitzt klug, weise und verantwortungsvoll damit umgeht. Hier ist die technische Beschränkung einer Nutzung bei gleichzeitig optimaler Analyse und effektivem Einsatz für Unternehmen die größte Herausforderung. KMU werden aus meiner Sicht langfristig an Boden verlieren, wenn sie sich dieser Herausforderung nicht stellen. Gleichzeitig sehe ich die Verantwortung nicht nur bei den nutzenden Unternehmen, auch die Menschen auf der Daten abgebenden Seite müssen sich mehr und mehr der Verantwortung ihrer Daten bewusst sein und ein wenig mehr Sorge und Verantwortung tragen.

Linux-Autor Michael Kofler schreibt:

Ich finde nämlich schon ‚Big Data‘ unsäglich blöd. Das ist ein Modewort ohne Inhalt. Von großen Datenbanken hat man schon vor 20 Jahren gesprochen. Ich war 1995 auf der VLDB-Konferenz (Very Large Databases) in Zürich, dort sprach man bereits über Datenbanken im TByte-Bereich. Das war damals etwas Besonderes. Heute kannst du das prinzipiell auf einem 500-EUR-Rechner machen.

Wie kommt es also dazu, dass man seit ein-, zwei Jahren alles als ‚Big Data‘ bezeichnet, was zwei Jahre vorher eine vollkommen normale Datenbankanwendung war? Aus meiner Sicht pures Marketing.

Es wird dich insofern nicht überraschen, wenn ich den Begriff ‚datability‘ noch viel blöder finde, oder? Natürlich ist es ein wichtiges Thema. Es gibt viele Daten, man versucht, was daraus zu machen. Aber es ist kein neues Thema. Data Warehouses, OLAP etc. macht genau das, seit vielen Jahren. Meiner Ansicht nach ist ‚Big‘ nur bei ganz wenigen Unternehmen wirklich ‚Big‘ — amazon, facebook, google, apple natürlich, von mir aus noch die Telekom-Firmen, große (staatliche) Versicherungen mit Millionen von Kunden/Versicherten etc. 

Und auf die Frage, was Michael Kofler Usern rät, schreibt er:

Den meisten ist es einfach vollkommen egal, daran wird sich nichts ändern. Da würden noch 10 Snowden nichts daran ändern. Um den Datenschutz kümmert sich natürlich auch keiner ernsthaft  (keine Firmen) — aber wozu auch: Passiert etwas, entschuldigt man sich halt. Hat irgendjemand in den letzten Jahren auch nur 100 EUR Strafe gezahlt, weil halt blöderweise ein paar (Hundert)Tausend Kundendaten in Netz gehuscht sind? Aus betriebswirtschaftlicher Sicht muss man nüchtern sagen, dass Geld, das in den Schutz der mir anvertrauten Daten investiert wird, eigentlich rausgeworfen ist. Passiert was, ist’s halt ein bisschen peinlich — aber das war’s auch schon. Und mit etwas Glück passiert eh‘ nichts.

Du erkennst schon den leicht österreichischen Schlendrian, oder? Aber es hat nichts mit Ö zu tun, ich formuliere es nur etwas zynischer. Schau‘ dir von mir aus Sony an: Die hatten doch vor Jahren einen riesen Skandal, weil Millionen Daten von PlayStation-Nutzern entfleucht sind. Und jetzt: stürzen sich alle wieder auf die neue Playstation, weil deren technischen Daten überzeugend sind. Und Sony = Japan, nicht Ö 🙂

  • Wer was auf Facebook & Co. postet, sollte das generell als öffentliche Mittteilung an alle sehen, ganz egal, welche Privacy-Einstellungen gelten. 
  • Wer eine Einkaufskarte verwendet, muss sich klar sein, dass seine/ihre Daten natürlich verwendet werden — das ist der Sinn der Karte. (Ich habe z.T. trotzdem welche, weil es mir in diesem Fall auch egal ist, ob Billa weiß, wann ich wo welche Milch einkaufe.) 
  • Wer eine Mail unverschlüsselt versendet, muss sich klar sein, dass die Nachricht außer dem Empfänger auch jeder mit etwas krimineller oder staatlicher Energie (NSA) lesen kann.

Für private Nutzer ist das alles ja vermutlich wirklich ziemlich egal, solange unser demokratisches System einigermaßen funktioniert.

Wenn ich Inhaber einer europäischen High-Tech-Firma wäre, egal, ob klein oder groß, würde ich mich aber ernsthaft vor Industriespionage fürchten.  Und da gäbe es schon Möglichkeiten, das zumindest deutlich zu erschweren: verschlüsselte Mails, europäische Cloud-Anbieter (oder, noch sicherer, keine Cloud, stattdessen eigene Server + VPN). 100%igen Schutz gibt es nicht, da muss ich auf die EDV ganz verzichten. Aber lasse ich bei meinem Haus Tag und Nacht alle Türen sperrangelweit offen stehen, nur weil ich keine Alarmanlage besitze?